Fair & Lokal: Herausforderungen und Überlegungen in der Schweiz und in Europa
Mehrere Schweizer Fair Trade Towns stellen derzeit Überlegungen zum lokalen Fairen Handel an. Eine Absichtserklärung für einen fairen und solidarische Rahmen, die heute in der Westschweiz veröffentlicht wurde, formalisiert diesen Prozess und legt die Grundlage für ein faires und verantwortungsvolles Konzept auf lokaler Ebene. Erfahren Sie in diesem Artikel mehr über den Inhalt und die laufenden Aktionen.
SCHWEIZER UND INTERNATIONALER KONTEXT
Der Faire Handel ist eine Handelspartnerschaft, die auf Dialog, Transparenz und Respekt beruht. Er hat seine Wurzeln in den Ungerechtigkeiten des Nord-Süd-Handels. Angesichts der wachsenden Ungleichheit und der ökologischen Herausforderungen gewinnt die Integration seiner Prinzipien in die lokalen Wirtschaftskreisläufe und die Lieferketten in Europa und der Schweiz zunehmend an Bedeutung.
Diese Entwicklung entspricht auch den sozialen und wirtschaftlichen Realitäten im Norden. In Südeuropa leiden viele Arbeitsmigrantinnen und -migranten, insbesondere in der Landwirtschaft, unter prekären, ausbeutungsähnlichen Bedingungen. Ein Fairer Handel, der auf lokale Produktionen angewandt wird, würde würdige Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung garantieren.
Auf lokaler Ebene stehen die Bauern und Bäuerinnen vor großen Herausforderungen: Preisdruck, verschärfter Wettbewerb und geringe Gewinnspannen. Durch die Einbeziehung der Grundsätze des Fairen Handels wird es möglich, ihre Arbeit besser zu bewerten, eine gerechte Entlohnung zu gewährleisten und die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe zu stärken. So ist/wird der faire Handel im Norden Teil einer breiteren Dynamik der sozialen Gerechtigkeit und des ökologischen Wandels.
Europäische Beispiele: Frankreich, Belgien und Italien
In Frankreich hat sich die gesetzliche Definition von Fair Trade 2014 dahingehend geändert, dass sie nun auch die nationalen Handelsbeziehungen umfasst. Dieser Rahmen wurde durch das Klimagesetz von 2021 gestärkt, das den Fairen Handel als Schlüsselinstrument für den agrarökologischen Übergang positioniert. Siegel wie «Agri-Éthique» oder «Bio Équitable» zertifizieren heute lokale Produkte, die die Grundsätze des fairen Handels einhalten.
In Belgien hat Oxfam-Magasins du Monde 2013 die Charta Paysans du Nord ins Leben gerufen, eine Initiative, die die belgische bäuerliche Landwirtschaft unterstützt, indem sie faire und ökologische Produktionsbedingungen garantiert. Dieser Ansatz ist Teil einer systemischen Vision, die darauf abzielt, soziale Gerechtigkeit mit ökologischer Nachhaltigkeit zu vereinen.
In Italien entwickelte Altromercato ab 2010 die Produktreihe Solidale Italiano, die auf der Sozial- und Solidarwirtschaft basiert. Seit 2018 ermöglicht der Dachverband Equo Garantito lokalen Produzent:innen eine faire Anerkennung zu erhalten, wobei die Kriterien eine Bio-Zertifizierung und eine demokratische Organisation der Produzentinnen und Produzenten erfordern.
Diese Erfahrungen zeigen, dass der lokale Faire Handel vielfältige Formen annehmen kann, die sich an die wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Gegebenheiten jedes Landes anpassen, aber dennoch gemeinsame Prinzipien beibehalten: faire Bezahlung der ProduzentInnen, Umweltschutz und Einbeziehung der KonsumentInnen.
ÜBERLEGUNGEN IN DER ROMANDIE UND DER DEUTSCHSCHWEIZ
Die Arbeit rund um einen lokalen Fairen und Solidarischen Handel in der Romandie.
In der Westschweiz haben neben dem Engagement der Stadt Genf im Programm Fair Trade Town mehrere Akteure (Swiss Fair Trade, ASRO, das Kollektiv BREAD, Uniterre und die FRACP) Überlegungen zu den Konturen eines lokalen Fairen und Solidarischen Handels angestellt, um eine gerechtere und nachhaltigere Wirtschaft zu fördern.
Zunächst wurde eine Bestandsaufnahme bei 27 Schweizer Organisationen durchgeführt, die durch Recherchenarbeit in Belgien, Frankreich und Italien ergänzt wurde. Im Oktober 2023 fand dann ein Workshop mit Expertinnen und Experten statt, um Schlüsselfragen wie die Rolle öffentlicher Institutionen, die Zugänglichkeit von Produkten und die Entwicklung konkreter Kriterien zu erörtern.
Die Initiative wird von der Stadt Genf unterstützt und ist Teil ihres Engagements für eine solidarische und nachhaltige lokale Wirtschaft, insbesondere durch ihre Programme Fair Trade Town und Nourrir la Ville (Die Stadt ernähren). Verwaltungsratsmitglied Alfonso Gomez betonte, sie sei „ein wichtiger Schritt in Richtung eines nachhaltigeren Wirtschaftsmodells, das die Werte der Sozial- und Solidarwirtschaft widerspiegelt.“
Es wurde eine Absichtserklärung verfasst, um die Grundlagen für einen lokalen Fairen Handel in der Westschweiz zu schaffen, mit dem Ziel, diese Grundsätze in die Politik und die Verbraucherpraktiken zu integrieren. Sie beruht auf folgenden wesentlichen Kriterien: faire Preise, die den Produzentinnen und Produzenten ein würdiges Einkommen sichern, langfristige Verträge, Transparenz, Rückverfolgbarkeit und die Einhaltung von ökologischen landwirtschaftlichen Praktiken und der Menschenrechte.
Um diese Kriterien in die Tat umzusetzen, ist die Unterstützung der verschiedenen Akteure – Produzent:innen, Händler:innen und Verbraucher:innen - von entscheidender Bedeutung. Die Arbeitsgruppe setzt ihre Bemühungen fort, um die Umsetzbarkeit der Kriterien zu testen und ihre Akzeptanz zu fördern, um ein dauerhaft etabliertes lokales Modell des Fairen und solidarischen Handels dauerhaft zu schaffen.
- Sonderausgabe der Zeitung ex-aequo, die sich ausschließlich dem lokalen fairen Handel widmet (auf Französisch)
- Absichtserklärung für einen Lokalen Fairen und Solidarischen Handel zum herunterladen
Die Initiative LIEFAIRPAKT in der Deutschschweiz.
In der Deutschschweiz wird die Initiative LIEFAIRPAKT weiterentwickelt, die vom Hoi-Laden in der Fair Trade Town in Vaduz (Liechtenstein) in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Graubünden ins Leben gerufen wurde. Ziel ist es, einen lokalen und nachhaltigen Fairen Handel zu fördern, der auf gegenseitigem Respekt und geteilter Verantwortung basiert.
Die Initiative dient als Leitfaden für Überlegungen und Maßnahmen und verfolgt einen evolutionären, partizipativen Ansatz. Sie ermutigt Wirtschaftsakteure, sich freiwillig zu engagieren, Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Ziel ist es, gemeinsam einen Handel zu fördern, der sowohl die Menschen als auch die Umwelt respektiert.
Das Projekt soll Produzenten, Unternehmen und Verbraucher anregen, nachhaltige Praktiken einzuführen und gleichzeitig die lokale Wirtschaft zu stärken. Derzeit wird über einen Referenzrahmen nachgedacht, der faire und nachhaltige Handelspraktiken in der gesamten Wertschöpfungskette fördert. Weitere Informationen über den Fortschritt der Initiative werden in Kürze bekannt gegeben.
***
In den Fair Trade Towns entsteht somit nach und nach ein lokaler Fairer Handel, der auf europäischen Erfahrungen basiert und seine Prinzipien an die lokalen wirtschaftlichen Gegebenheiten anpasst.
Beide Initiativen verdeutlichen, dass die Werte und der Ansatz des Fairen Handels nicht nur auf den Nord-Süd-Handel beschränkt sind. Sie zeigen auch, dass der Faire Handel eine Schlüsselrolle bei der Umgestaltung lokaler Wirtschaftskreisläufe spielen kann, indem sie den Übergang zu einem verantwortungsvolleren und solidarischeren Konsum unterstützen. Sie stellen auch einen bedeutenden Fortschritt in der Weiterentwicklung von Fair Trade Towns dar und stärken somit deren Engagement für einen nachhaltigen und fairen Konsum auf lokaler Ebene.