Nachhaltige Beschaffung: Die Chance nicht verpassen!
Nachhaltige Beschaffung: Die Chance nicht verpassen!
Für den Schweizer Bedarf beschaffte Produkte und Rohstoffe wie Baumwolle werden auch im Ausland produziert. Mit einer nachhaltigen Beschaffung trägt die öffentliche Hand dazu bei, weltweit ökologische und soziale Produktionsbedingungen zu schaffen.
Vielen Menschen ist es ein Anliegen, fair einzukaufen. Für die öffentliche Hand, die mit Steuergeldern einkauft, ist dies heute nicht möglich: Das geltende Gesetz schreibt vor, dass sie das wirtschaftlich günstigste Produkt beschafft - ob fair hergestellt oder nicht. Die anstehende Gesetzesrevision kann dies ändern.
Der Einsatz für arme Menschen bedeutet für Entwicklungsorganisationen wie Fastenopfer und Brot für alle nicht nur die Projektarbeit in den 14 Partnerländern. Vielmehr möchten sie auch aufzeigen, wie sich unser Konsumverhalten auf die Menschen in Entwicklungsländern auswirkt und so die Menschen in der Schweiz für einen nachhaltigen Lebensstil sensibilisieren. Ausserdem stossen sie mit ihrem entwicklungspolitischen Engagement politische Veränderungen an. Grundlage dafür bieten die im Herbst 2015 von der Uno verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele, die auch die Schweiz verpflichten - zum Beispiel auf eine nachhaltige öffentliche Beschaffung, wie sie im Unterziel 12.7 festgehalten ist.
Öffentliche Beschaffung fördert oder hemmt Entwicklung
Zurzeit wird das Beschaffungsgesetz überarbeitet. Das Resultat der Revision bestimmt, nach welchen ökonomischen, ökologischen und sozialen Grundsätzen die Einkäufe von Gemeinden, Kantonen und des Bundes künftig ausgerichtet werden. Je nach Ausgestaltung kann sie die Beschaffung von fair und ökologisch produzierten Gütern fördern oder aber hemmen. Für eine nachhaltige Entwicklung ist zentral, dass sich die Produktionsbedingungen in den Herstellungsländern verbessern. Nur wenn Arbeiter und Arbeiterinnen faire Löhne erhalten, können sie und ihre Familien ein würdiges Leben führen. Von einer ökologischen Produktion profitieren auch indirekt Betroffene: Wenn Textilproduzenten keine giftigen Abwässer in Flüsse einleiten, kommt dies allen zugute, die am Flusslauf unterhalb der Fabrik leben.
Die Nachfrage bestimmt das Angebot
Dank ihrer Marktmacht als Grosskonsumenten können Bund, Kantone und Gemeinden einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Jedes Jahr kauft die öffentliche Hand für rund 40 Milliarden Franken ein, unter anderem Güter, die im Ausland produziert werden: Textilien für Armee, Polizei oder Spitäler, IT-Produkte für die Verwaltung, Steine für Strassen und Plätze, Nahrungsmittel für Personalrestaurants. Fastenopfer und Brot für alle haben sich zusammen mit einer Koalition von Nichtregierungsorganisationen, zu der die Erklärung von Bern (neu Public Eye), Helvetas Swiss Intercooperation, Max Havelaar Schweiz, Solidar Suisse und Swiss Fair Trade gehören, in die Vernehmlassung für die Revision des Bundesgesetzes und der Interkantonalen Vereinbarung zur öffentlichen Beschaffung eingebracht, damit die öffentliche Hand ihre Marktmacht positiv nutzt, statt für möglichst billige Produkte die Ausbeutung von Menschen in Kauf zu nehmen. Neben den positiven Auswirkungen in Produktionsländern würde davon auch die Schweiz profitieren. Denn durch ungenügende soziale und ökologische Anforderungen an Produkte und deren Herstellung ist das Reputationsrisiko für die Beschaffungsstellen gross. Unvergessen ist der Fall der Produktion von Zivilschutzkleidung in einem Slum in Indien. Das heutige Gesetz kann weitere solche Fälle nicht ausschliessen - auch weil es keine Kontrollen erlaubt.
Heute herrscht unfairer Wettbewerb
Anstelle einer klaren Regelung für die Prüfung und Überwachung von Standards im Vergabeverfahren steht heute die sogenannte Selbstdeklaration des Anbieters. Der Anbieter bestätigt damit die Einhaltung von Minimalstandards, was aber nie überprüft wird. Deswegen wird diese Selbstdeklaration von engagierten Beschaffungsstellen auch als «Lügenpapier» bezeichnet. Welche Folgen diese Praxis haben kann, zeigt folgendes Beispiel: Ein Familienunternehmen im Kanton Bern ist auf die Produktion von Arbeitskleidung spezialisiert Es besitzt Produktionsstätten in verschiedenen Ländern. Um sich auf dem Markt zu positionieren, Werden hohe soziale und ökologische Standards beachtet und regelmässig verifiziert. Wenn es zu öffentlichen Ausschreibungen kommt, unterliegt aber das Familienunternehmen den Mitbietern, die keinen nachhaltigen Produktionsprozess ausweisen können. Weil der Zuschlag für das wirtschaftlich günstigste Angebot gegeben werden muss und eine Selbstdeklaration als Nachweis ausreicht, sind in der Realität nachhaltige Produzenten oft benachteiligt. Die öffentliche Hand trägt hier als Konsumentin eine Mitverantwortung. Damit sie diese auch wahrnehmen kann, muss das neue Gesetz den Vergabestellen ermöglichen, soziale Kriterien, die über die Einhaltung der Minimalstandards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hinausgehen, zu berücksichtigen.
Standards berücksichtigen
Denn es existieren glaubwürdige Standards und Best Practices - auch für die Produktion von Gütern mit komplexen Liefer- ketten. Rohstoffe für Textilien wie Baumwolle können biologisch angebaut und fair produziert werden und Abwässer lassen sich klären. Für Textilien gibt es mit der «Fair Wear Foundation» eine sogenannte Multistakeholdernitiative, die Verbesserungen in der Produktion vorschreibt und laufend überprüft: Staatliche Stellen, Markenfirmen und Nichtregierungsorganisationen legen hier gemeinsam die zu erreichenden Fortschritte fest. Das neue Beschaffungsgesetz muss es erlauben, diese Standards für Beschaffungen einzufordern und für den Zuschlag entsprechend zu gewichten. Es braucht eine explizite rechtliche Grundlage, um soziale und ökologische Kriterien berücksichtigen zu können. Rechtssicherheit und weniger Reputationsrisiken für die Beschaffungsstellen, die Förderung nachhaltiger Produzenten und Produzentinnen durch steigende Nachfrage und fairerer Wettbewerb dank gleich langer Spiesse für in- und ausländische Anbieter wären die Folge.
Kontrolle ist möglich
Wo keine Labels oder Managementsysteme ausgewiesen werden können, braucht es Stichprobenkontrollen. Analog zu Lohnkontrollen im Baugewerbe oder zur Gleichbehandlung von Mann und Frau in der Schweiz. Das Argument, es sei nicht möglich, Produktionsprozesse im Ausland zu kontrollieren, weil dies eine unzulässige Einflussnahme im Ausland darstelle, ist nicht haltbar. Aus juristischer Sicht treten Bund und Kantone als Konsumentinnen auf und nicht als eine extraterritoriale regulierende Instanz. Es gibt bereits Beschaffungsstellen, die ökologisch und sozial nachhaltig einkaufen. Doch heute tun sie dies in einem rechtlichen Graubereich. Gerade für soziale Kriterien lässt das geltende Vergabe- recht wenig Spielraum. Wie ein Gericht entscheiden würde, wenn ein unterlegener Anbieter über unfaire Wettbewerbsbedingungen nach geltendem Gesetz klagen würde, ist ungewiss. Um diese Rechtsunsicherheit bei der Einforderung von Nachhaltigkeitskriterien zu beheben und nachhaltige Beschaffung nicht zu untergraben, muss das Parlament die Chance der Revision des Beschaffungsgesetzes nutzen und klare Spielregeln festlegen.
«Fair Trade Towns» machen es vor
Bis es soweit ist, bleiben Initiativen wie «Fair Trade Town». Das Label zeichnet Städte und Gemeinden aus, die sich für den fairen, Handel engagieren. «Fair Trade Towns» müssen verschiedene Kriterien erfüllen, wie etwa den Einkauf fair gehandelter Produkte für die Verwaltung. Da die Kosten für Kaffee oder Orangensaft unter den Schwellenwerten für eine öffentliche Ausschreibung liegen, können Gemeinden diese Aufträge freihändig vergeben. Genau hier setzen die Forderungen der NGO-Koalition an. Sie engagiert sich für ein Beschaffungsgesetz, das nachhaltige Beschaffung auch für grössere Volumen ermöglicht und Strichprobenkontrollen zur Einhaltung der geforderten Kriterien vorschreibt. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung.